Casebook 1899 – The Leipzig Murders
Im Juni 2022 erschien auf Kickstarter die Crowdfunding-Kampagne zum Point & Click Adventure Casebook 1899 – The Leipzig Murders. Das vom Entwickler Gregor Müller programmierte Computerspiel wurde mit einem Spendenziel von 15.000 € eingestellt und erreichte nach Abschluss der Kampagne eine Spendensummer von über 17.600 € bei einer Beteiligung von mehr als 480 Backern. Es ist das erste Spiele-Projekt des Einzelentwicklers, das gleichermaßen für alle Backer und kaufwillige Spieler im Dezember 2023 erscheinen soll. Aktuell macht das Spiel aufgrund seines transparenten Projektmanagements einen guten ersten Eindruck. Wir wollen das Projekt hier etwas genauer unter die Lupe nehmen und schauen, ob Casebook 1899 das Zeug zu einem neuen Point & Click-Hit hat?
Casebook 1899 – The Leipzig Murders ist ein typisches Old-School 2D Point & Click Adventure im Pixel-Art-Stil, was von Spielen, wie z.B. L.A. Noire, Lamplight City, The Last Express und Broken Sword – Baphomets Fluch inspiriert wurde. Euer Hauptcharakter ist Kommissar Joseph Kreiser, den ihr bei der Aufklärung von insgesamt vier Mordfällen unterstützen müsst. Dazu verhört ihr Zeugen, sammelt Beweise, recherchiert und müsst natürlich am Ende alles logisch miteinander kombinieren, um so letzten Endes den Täter ausfinding zu machen. Das Spiel selbst verwendet ein historisches Setting, welches im Jahre 1899 in Leipzig spielt. Im Zentrum steht hier die fortschreitende Industrialisierung mit den aufkommenden Automobilen, die im ersten Mordfall auch gleich eine tragende Rolle spielen.
Als Unterstützung in allen Mordfällen dient euch der NPC und Staatsanwalt Gustav Möbius, der euch bei kniffligen Rätseln mit Hilfestellungen versorgt oder euch in bestimmten Szenen auf wichtige „Hinweis-Hotspots“ aufmerksam macht. Die Idee ist nicht schlecht, jedoch wirken die Hilfe-Funktionen noch zu rudimentär umgesetzt und könnten etwas umfangreicher ausfallen. In der aktuellen Form ist das Finden der entsprechenden Hinweise leider nicht immer intuitiv oder logisch ableitbar, was teilweise zu frustrierenden Momenten bei der Ableitung der richtige Schlussfolgerungen in Kreiser’s Notizbuch führt. Jeder Mordfall hat mehrere mögliche Enden aber nur einen echten Mörder. Leitet man hier die falschen Schlüsse ab, könnte die falsche Person verhaftet werden.
Die großen Pluspunkte des Spiels
Das Notizbuch scheint hier im gesamten Spiel eine tragende Rolle zu spielen, was vom Game-Design her einen guten Eindruck macht. Die Funktionen erinnern hier stark an die Ableitung von Schlussfolgerungen in den älteren Sherlock-Holmes-Spielen von Frogwares oder wie in L.A. Noire und liefern ein gutes Feature zur Aufklärung der Fälle. Daneben wurden die Interaktionsmöglichkeiten mit Gegenständen und ein Großteil der Dialoge ebenfalls gut umgesetzt. Vor allem die witzig-trockenen Gespräche mit einem Zeugen sind sehr gut gelungen und sollten in der Art häufiger im Spiel vorkommen.
Ein weiterer Pluspunkt ist die historische Kulissengestaltung und die Rekonstruktion von realen Orten. Die bisher gesehenen Szenen spielen alle an original-getreuen Leipziger Schauplätzen und wurden mit Liebe zum Detail in Szene gesetzt. Hier merkt man das der Entwickler hauptberuflich als Journalist für Geschichtsdokumentationen tätig ist und sein Wissen in das Spiel mit einfließen lässt. Darüber hinaus hat er bereits mehrere Kriminalromane mit dem Hauptcharakter Kommissar Kreiser geschrieben.
Was mir sehr positiv aufgefallen ist, ist die transparente und fundierte Projektplanung auf Kickstarter. Im Vergleich zu anderen Spielprojekten gibt Gregor Müller mit entsprechenden Diagrammen die bevorstehenden Ausgaben und die geplanten Arbeitspakete an. Diese Projekttransparenz ist auf Kickstarter keine Selbstverständlichkeit und stellt ein großen Vorteil für förderwillige Backer dar. Ebenfalls sehr positiv fiel mir die zum Kampagnen-Start bereitgestellte Demo des Spiels auf. Auch hier spürt man die hohe Projekttransparenz, die es Backern sehr einfach macht das Spiel zu unterstützen.
Wo gibt es noch Verbesserungsbedarf?
Casebook 1899 ist ein Einzelentwicklerprojekt und dafür schon sehr bemerkenswert umgesetzt. Das was ich in der Demo sehen konnte stimmte mich größtenteils optimistisch und wirkte stimmig umgesetzt. Leider gibt es im Moment noch ein paar größere Schwächen, die den Spielspaß etwas gedämpft haben.
Einen großen Kritikpunkt sehe ich aktuell noch bei der Beweisführung und den entsprechenden Funktionen im Notizbuch. Hier merkt man das einige der Funktionen programmiertechnisch zu starr umgesetzt wurden. Nur bestimmte Hinweise werden im Notizbuch mit vorgegebenen Verbindungslinien verknüpft. Das schränkte die Beweisführung erheblich ein und sorgte dafür, das ich den ersten Fall nur nach vorgegebenen Mustern abschließen konnte. Hier fehlt mir eine gewisse Spielfreiheit, die mich dann auch wirklich in die Lage versetzt, dass ich den Fall selbst löse und nicht, dass ich auf dem „Rücksitz platziert werde“.
Wo ich auch Verbesserungsbedarf sehe, sind die weiblichen Sprecherrollen. Männliche Charaktere hatten fast durchgängig sehr gute Stimmen mit hervorragender Tonalität. Die weibliche Sprecherin, auch wenn es laut Abspann eine Familienangehörige des Entwicklers zu sein scheint, war leider um mindestens eine Stufe schlechter. Besonders störend waren hier das Hintergrundrauschen (auf Kopfhörern sehr stark zu hören) und das Fehlen jeglicher Tonalität, wie z.B. in der Szene mit dem Charakter Frau Uhlich, die nach der Nachricht zum Tod ihres Mannes überhaupt keine Emotionen zeigte.
Auch das Storytelling und das Game-Design ist noch verbesserungsfähig. Das Aufklären des Mordfalls und die Dialoge wirken bis auf wenige Ausnahmen noch zu eintönig und ohne nennenswerte Höhepunkte oder erzählerische Tiefe. Dementsprechend kam ich beim Spielen der ca. einstündigen Demo irgendwann zu einem Punkt, wo sich Langeweile einstellte. Hier gibt es gerade in Bezug auf Environmental Storytelling, oder Plot-Twist noch Luft nach oben.
Das Spiel soll einen Umfang von insgesamt vier Mordfällen haben. Der erste Mordfall wurde bereits als Demo veröffentlicht und war nach ca. 50 Minuten durchgespielt. Rechnet man das hoch, wird das fertige Spiel eine Spielzeit von ca. 3,5 – 4 Std. haben. Gerade im Vergleich mit anderen ähnlichen Spielen, wie z.B. Indiana Jones and the Fate of Atlantis, ist das aus meiner Sicht zu wenig Spielumfang. Ich würde mich freuen wenn hier noch nachgebessert wird.
Unser Fazit:
Casebook 1899 – The Leipzig Murders ist ein charmantes und solides Spiel, was mir beim Zocken viel Spaß bereitet hat. Das Projekt wirkt seriös, durchdacht und benennt offen für alle Backer die möglichen Risiken. Es ist das erste Spielprojekt eines Hobbyentwicklers, was sicherlich seine informationstechnischen und Gamedesign spezifischen Schwächen hat aber dennoch über die bereitgestellte Demo einen guten ersten Eindruck vermittelt. Hier muss man schauen, wie viel Erfahrung und informationstechnisches Wissen in das Spiel und das dazu gegründete Entwicklungsstudio Homo-Narrans Studio einfließen werden. Es sollte aber jeden klar sein, dass es letztendlich ein Hobbyprojekt ist und das man hier noch keine hochprofessionelle Spielumsetzung, wie z.B. bei Indiana Jones and the Fate of Atlantis oder Geheimakte Tunguska erwarten kann. Trotzdem zeigt das Spiel durchaus Potential, was mit der Verbesserung einiger grundlegender Spielmechaniken weiter ausgeschöpft werden könnte. Ich bin auf jeden Fall optimistisch, dass Gregor Müller hier eine gutes Spiel veröffentlichen wird. Genug Zeit ist auf jeden Fall vorhanden, da der Release erst für Dezember 2023 auf Steam angekündigt wurde. Eine frühzeitige Auslieferung an Backer ist nicht angedacht.
Unsere Wertung:
Das hat uns gefallen:
sehr gute Spielmechaniken, die an die älteren Sherlock-Holmes-Spiele erinnern
gute Interaktionsmöglichkeiten und Dialoge bei den männlichen Charakteren
historisch-realistisches Setting mit stimmungsvollen Kulissen
transparentes und seriöses Projektmanagement mit klarer Offenlegung der Risiken
Das hat uns nicht gut gefallen
Storytelling, Game-Design und die Hilfe-Funktionen sind noch verbesserungswürdig
starke Qualitätsunterschiede bei Synchronsprechern, vor allem männlich zu weiblich
wenig interessante Dialoge; erzählerische Tiefe fehlt
wenig technische Details zur Umsetzung; schwer zu bewerten, ob Entwicklungserfahrung ausreichend ist